Projektbeschrieb:
Die junge Waldorfschule am Rande der Millionenmetropole Chengdu hat ein Fabrikgebäude übernommen, um es zu einer zweizügigen Waldorfschule umzubauen. Ich wurde für den Entwurf vom Innenausbau gefragt, als die Bauarbeiten bereits voll im Gange waren. Ich entwarf das Grundprinzip für 6 Klassen, obwohl erst einmal nur die ersten 4 Klassen gebaut wurden.
Mein Impuls war die Umsetzung der Metamorphose-Idee, wie sie Rudolf Steiner für die Architektur entwickelt hat. Die Kinder sollten erleben, dass von Klasse zu Klasse eine Entwicklung stattfindet. Sie sollen sich mit den liebevoll gestalteten Klassenräumen identifizieren und sich auf die nächste Klasse freuen. Dazu habe ich sechs Formen entworfen, die die seelische Entwicklung der Kinder spiegeln und die sich in den Formen der Decke sowie in den Leibungen der Fensterleibungen, der Eingangstüren, der Wandtafeln und der Möbel wiederfinden.
Erste Klasse: Für die erste Klasse habe ich als Hauptform den Kreis gewählt.
Die Kinder sind noch nicht ganz auf der Erde. Sie leben noch stark in einer imaginären Märchenwelt und bewahren in ihrer Seele das Himmlische, Ideale, Reine und Ursprüngliche. Sie bilden mit den Lehrpersonen eine Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz findet und zur Bildung eines Zentrums beiträgt. Der Kreis kann dem Schüler die Erfahrung von Ganzheit, Harmonie und einer sonnigen, strahlenden inneren Kraft vermitteln.
Zweite Klasse: Fantasie und die fantasievolle Bilderwelt sind für das Kind noch immer wesentlich.
Die innere Welt der Seele ist wichtiger als die äußere Welt, auch wenn die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Wind im Außen intensiv erforscht werden.
Der Kreis hat sich geöffnet, als wolle er mehr von der Außenwelt aufnehmen.
Die neue Form, die Parabel, möchte die innere Wärme bewahren. Sie öffnet sich aber zum Lehrer als großem Vorbild. Die Parabel zeigt diese wunderbare Öffnung hin zu etwas, das ich als spirituell bezeichnen möchte. Eine zweite, weit geöffnete Parabel, die vom Lehrer ausgeht, zeigt als Geste die liebevolle Zuwendung zu den Schülern.
Dritte Klasse: In diesem Jahr durchläuft der Schüler eine Individualisierung und sieht sich selbst und sein Gegenüber mit neuen Augen. Die innere, beginnende Loslösung von den Eltern und dem angestammten Umfeld wird durch die Zweiteilung der Parabel deutlich. Sie hat nun zwei Arme, diese beziehen sich aber in einer schönen Geste aufeinander. Die Orientierung am Lehrer als vertrauenswürdige Autorität ist noch stets deutlich erkennbar.
Vierte Klasse: Die äußere Welt hat an Bedeutung gewonnen, die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Natur: Geographie und Tierwelt werden erforscht. Die Hyperbel zeigt diese Neuorientierung und den damit einhergehenden, tiefgreifenden inneren Wandel deutlich.
Fünfte Klasse: Die Schüler finden ein inneres Gleichgewicht zwischen Außen- und Innenwelt. Die prägende Kraft des Denkens wird ähnlich wie in der altgriechischen Geschichte mit Pythagoras und den griechischen Philosophen Aristoteles und Platon ergriffen. Wie in der griechischen Kultur, die ein wichtiger Inhalt dieses Unterrichts ist, wird in allem und jedem Handeln nach Schönheit und Harmonie gestrebt. Die für diesen Unterricht gewählten Formen erinnern an Yin und Yang, die beiden Grundprinzipien der chinesischen Tao-Tradition. Die Kinder der 5. Klasse versuchen, dieses innere Gleichgewicht zu erreichen. Deshalb wird diese Zeit oft als das goldene Zeitalter der Kindheit bezeichnet.
Sechste Klasse: Die Schüler erreichen den Beginn der Adoleszenz. Der Körper wird schwer. Körperliches Training und die Stärkung der Denkkraft wirken diesem Prozess entgegen. In der sechsten Klasse werden viele naturwissenschaftliche Fächer wie Physik, Mineralogie und Klimatologie eingeführt. Achtsamkeit als Gegenpol zur körperlichen Trägheit kann durch eine Überkreuzung ausgedrückt werden. In der Eurythmie ist es der Vokale E, das Überkreuzen der Arme, eine Geste der Achtsamkeit und zugleich eine Geste des Schutzes. Der differenzierte Umgang mit Phänomenen ist wichtig, denn er bildet auch eine Schutzhülle für die Seele.
Die Wandlung der Form von der fünften zur sechsten Klasse lässt sich leicht nachvollziehen: Yin-Yang wird zu einer Lemniskate, die an einer bestimmten Stelle einen Übergang hat.












